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Prolog

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Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Exkurs, der wo erklärt, dass der Heinrich in Wirklichkeit noch leben tut!

Sai-Hmnin Tang. Hätte Heinrich gewußt, dass die Moskitos in diesem gottverdammten Land so groß wie Flughunde sind, wäre er schon kurz nach der Ankunft desertiert und zurück ins geliebte-gehasste Deutschland geflohen. 12 Jahre in der Legion – damit hätte er es schon gepackt, erst rüber nach Nepal, die kippelige Grenze zu Afghanistan, Pakistan, Indien, Irak, Iran und dann als blinder Passagier den Suezkanal hoch übers Mittelmeer … wie oft war er diesen Plan schon in seinem Kopf durchgegangen? Aber die Realität und die Realität, wie sie sich Heinrich in seinem Kopf vorstellte, das waren zwei verschiedene Paar Schuhe.

Heinrich mußte bei diesem Gedanken plötzlich laut auflachen. „Schuhe! Ha! Ausgerechnet ich denke an Schuhe! Und dann auch noch zwei Paar verschiedene …“ Verbittert griff er in seinen Hut, holte ein paar Münzen und Scheine, die ihm freundliche Passanten und Tempelbesucher hineingeworfen hatten, heraus, schob sich die Kopfbedeckung aufs verbliebene Resthaar – ein paar ungepflegte fettige und ungesund gelbblonde Strähnen – und setzte sein Rollwägelchen, das er aus der Hälfte einer Europalette und den Rädern eines Tretrades zusammengebastelt hatte, in Bewegung.

Nur weg hier. Zurück nach Bautzen, zurück zu seiner geliebten Mutter. Eigentlich stimmt das nicht mit dem „geliebt“. Oma Gerlinde hatte ständig wechselnde Bekanntschaften und wechselte sich mit diesen Bekanntschaften darin ab, Heinrich allabendlich mit dem Gürtel zu verhauen. Aber dennoch war alles besser als mit von den Vietkong abgeschossenen Beinen durch die berühmten Tempelanlagen von Sai-Hmnin Tang zu rollen. Was wohl aus seiner Mutter geworden war? Ob sie die Wiedervereinigung noch erlebt hatte? Ging es ihr gut?

„Bestimmt“, dachte Heinrich. „Bösen Menschen geht es immer gut.“ Das war einer ihrer Standardsätze gewesen, wenn sie in der Fleischerei Hacker Koteletts gekauft hatte und sie die menschliche Bulldogge hinter der Fleischtheke nach ihrem Befinden gefragt hatte. Heinrich erinnerte sich so genau, als wäre es gerade erst heute Morgen passiert. Vor allem an eine Szene.

Der kleine Heini, 4 Jahre alt, geht mit seiner Mutti Gerlinde durch die Eingangstür zur Fleischerei, es folgt ein kurzes Gespräch der dort anwesenden Frauen über Nichtigkeiten, Naturkatastrophen und Scheidungsdramen, dann wird die Einkaufsliste abgearbeitet, die Verkäuferin packt alles nach und nach in eine Papiertüte, auf der ein glücklich grinsendes Schwein sich selbst in die Haxe beißt und dann sagt seine Mutter, unglaubwürdig freundlich: „Na, Erika? Kriegt der Kleine nicht vielleicht auch noch ein kleines Stückchen Fleischwurst von dir?“ Die Metzgersfrau lächelt säuerlich, der kleine Heini, der sich die Nase an der Kühltheke vor Vorfreude plattgedrückt hat, strahlt über beide Ohren, die Metzgersfrau hackt ein Stück von der Fleischwurst ab, zieht die Haut ab, versucht, es über die Theke dem kleinen Heini in die Hand zu geben.

Dann greift Gerlinde ein. Schnell wie eine Königskobra zischt ihre Hand weg von ihrem Körper, greift das Stück Fleischwurst, steckt es mit einer fließenden Bewegung in die rechte Tasche ihres blauen Filzmantels. Das alles garniert mit den Worten: „Der Heini hat heute Morgen schon so viel gegessen. Ich gebs ihm dann nachher.“ Und nie, und da waren sich der kleine Heini mit den O-Beinen und der große Heinrich in Sai-Hmnin Tang, der keine Beine mehr hatte, einig, nie nie nie hatte Mutti Gerlinde ihm dieses Stück gegeben.

Meistens hatte sie es schon auf dem Heimweg aus ihrem Mantel gezogen und genüsslich schmatzend und mit offenem Mund vor den Augen des kleinen Heinis zerkaut. Manchmal hatte er wenigstens dran riechen dürfen, ehe sie es einer herumstreunenden Katze zum Fraß vorgeworfen hatte.

„Do you want some food?“ „Mister! Do you want some food?“ Heinrich, dem die Tränen ob seines Tagtraums in den Augen standen, musste sich erst klar werden, dass der freundliche Mann mit dem weißen Spitzbart im Dr.-Fu-Man-Chu-Look ihn meinte. Ein drittes Mal fragte dieser nun: „Do you want some food?“ Heinrich war gerührt – freundlich waren sie ja doch, diese Vietnamesen. Er nickte. Und der Mann mit dem Spitzbart griff in seine Rikscha und streckte ihm zwei Beinprothesen aus Bambus entgegen.

Eine Antwort to “Beschissen wär‘ geprahlt…”

  1. […] Beschissen wär’ geprahlt… […]

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